Das Reich der Verderbnis [antikvár]

EINSIch wähle als Titel für meine Aufzeichnungen den Namen, den die Juden üblicherweise dem Römischen Kaiserreich gaben. Im folgenden dürft ihr aUe Formen der Verderbnis erwarten - Schweinefleischgenuß, Wollust, Ehebruch, Bigamie, Unzucht, Roheit, die ausgesuchtesten Spielarten von Grausamkeit, Mord, die Anbetung falscher Götter und die Sünde, nicht beschnitten zu sein. Ihr dürft euch ruhig schon die Lippen in der Erwartung lecken, gleichsam stellvertretend unter der Hand eures Autors verdorben zu werden. Es ist nur zu gut möglich, daß bereits der Umgang mit Literatur verworfen genug ist, um sie, von Rechts wegen zu teilen. Es ist aber hinreichend bekannt, daß Literatur aufhört, Literatur zu sein, wenn sie sich in den Dienst einer moralischen Erneuerung stellt: dabei kommt Moralphilosophie oder ähnlich langweiliges Zeug heraus. Wollen wir also unsere jeweUige Verdammung annehmen, geht es doch immerhin darum, die Langeweile unseres Lebens ein werüg zu verringern. Meine Verdammung ist natürhch die schlimmere, bin ich doch der Verursacher dieser teuflischen Aufzeichnungen, die ihr bloß in Empfang nehmt. Überhaupt könnt ihr dieses Buch ins Feuer werfen, wenn der Ekel unerträghch wird; ich aber muß es schreiben. Schenkt euch noch ein Glas Wein ein und nehmt es hin, daß wir Menschen ein übler Haufen sind.Mein Vater war Azor, Sohn des Sadok, und ich bin Sadok, der Sohn von Azor. In unserer Familie gab es keine große Neigung dazu, die Namen zu wechseln. Der Großvater gab die Staffel weiter an den Enkel, und dieser Brauch kommt irgendwo aus OHms Zeiten. Was wie Mangel an Fantasie wirkt, deutet wahrscheinlich eher auf ehrwürdige Zauber, Tabus, Drohungen, weitergereichte Spielregeln oder einen Gottesbund. Ich habe keine rechtmäßigen Söhne und auch nicht besonders viel Respekt der Tradition; gesetzt aber den Fall, ich wäre ein Ast im weitaustreibenden Stammbaum meiner Famihe und nicht sein verdorrtes Ende: dann wäre ich abergläubisch genug, um nichts an dieser binären Erbschaft zu ändern. Wir haben unsere Namen immer anderen überlassen, damit sie sie wie ein Stück fades Fleisch mit der Soße von Spitznamen würzten.I.' I